Interview mit Ernst Klingelhöfer über den Zusammenschluss der sechs heutigen Stadtteile
von Stefan Häuser
Ernst Klingelhöfer ist fast 95 Jahre alt und kann sich noch gut an die Zeit erinnern, als die neue Großgemeinde Pohlheim entstand. Er ist Zeitzeuge und war Anfang der 1970er-Jahre Gemeindevertreter in Watzenborn-Steinberg. Hautnah erlebte er die Diskussionen um den Zusammenschluss mit und brachte schließlich auch einen Namen ins Spiel.
Herr Klingelhöfer, die Ursprünge der gebietlichen Neugliederung auf Gemeindeebene im Landkreis Gießen gehen in die zweite Hälfte der 1960-er Jahre zurück. Welche Überlegungen gab es damals hinsichtlich eines Zusammenschlusses mit anderen Ortschaften?
Klingelhöfer: Jeder wusste, dass die Gemeindegebietsreform dringend nötig war. Denn es gab ja sehr viele Kleinstgemeinden, auch mit ehrenamtlichen Bürgermeistern, die damals einfach nicht mehr lebensfähig waren, was die kommunale Selbstverwaltung anbelangt.
Das Hessische Innenministerium führte eine „Gemeindegruppe Watzenborn-Steinberg“ auf, in der sich Watzenborn-Steinberg, Garbenteich und Hausen wiederfanden. Waren sich diese drei Gemeinden denn untereinander schon einig, in irgendeiner Weise zusammengehen zu wollen?
Es gab mit Dorf-Güll, Holzheim und Grüningen drei Gemeinden, die südlich des Limes lagen, und drei nördlich davon mit Watzenborn-Steinberg, Garbenteich und Hausen. Die Sichtweise der Landesregierung war damals so: Die drei südlichen Gemeinden gehören mehr zum Wetteraubereich. Holzheim sollte sich eigentlich mehr zu Gambach hin orientieren und Grüningen in Richtung Lang-Göns. Bei Dorf-Güll weiß ich es nicht so genau, wo die hintendierten. Aber die waren froh, dass sie nachher in Pohlheim integriert worden sind.
Hat die Gemeindevertretung Watzenborn-Steinberg die Initialzündung gebracht für den Zusammenschluss? Waren die als erstes dafür?
Wir in Watzenborn-Steinberg haben uns schon als Kerngemeinde gefühlt und den Auftrag gesehen, dafür zu sorgen, dass der Zusammenschluss friedlich über die Bühne geht. Wir fühlten uns als führende Gemeinde, dass es klappte.
Auf welche Weise wurden die anderen Gemeinden mit ins Boot geholt?
Es gab viele Gespräche. Die Bürgermeister aller sechs Gemeinden verstanden sich sehr gut und haben alle ihren Teil dazu beigetragen, dass im Vorfeld schon gewisse Einigungen stattgefunden haben. Es gab zwischen den Bürgermeistern keine Differenzen. Das war ein großes Plus. Die Hausener überlegten: Gehören wir nicht besser zu Gießen? Aber dann gab es doch so gute Beziehungen zwischen Hausen und Garbenteich, dass man da keine Trennung durchziehen wollte. Deshalb wurde dieser Gedanke wieder verworfen. Und ich hatte auch eh so den Eindruck, dass die Gießener selbst daran gar nicht so sehr interessiert waren, die Hausener mit ins Boot zu nehmen.
Wie war das für die Hausener und Garbenteicher? Hatten die vielleicht Angst, von Watzenborn-Steinberg bestimmt zu werden, wenn sie zusammengehen?
Es gab eine gemeinsame Kommission und wir kannten uns ja auch. Wir wohnten ja nicht kilometerweit auseinander. Alle Gemeinden hatten irgendwelche Beziehungen zueinander. Wir wollten gleichwertige Lebensbedingungen in allen Stadtteilen herstellen. Das heißt: Jeder Stadtteil bekommt sein Bürgerhaus und die gleichen Voraussetzungen. Wir wussten auch: Einer kann nur Bürgermeister werden und das stand auch so halbwegs fest. Die Kerngemeinde hat einen tüchtigen Bürgermeister und der könnte es auch bleiben. Die anderen wurden auch mitintegriert. Der Garbenteicher Bürgermeister als Beigeordneter und der Hausener Bürgermeister zum Beispiel als Vertreter im Bauamt. Für freiwillige Zusammenschlüsse gab es finanzielle Vorteile. Davon wollte jeder gerne profitieren. Das war die Grundlage, zu sagen: Wir schaffen mit dem Geld, was wir mehr bekommen, die Voraussetzungen in den kleineren Gemeinden, dass sie mitmachen können.
Wie kam es zum Namen Pohlheim?
Wir waren uns darüber im Klaren in Watzenborn-Steinberg, dass für diesen Zusammenschluss ein neutraler Name gefunden werden musste. Man hat versucht, einen Namen zu finden, der irgendwelche historischen Beziehungen hat. Da hat sich Pohlheim ergeben, eine sehr zentral gelegene Gemarkung hier auf Watzenborn-Steinberger Gebiet. Das Dorf Pohlheim, was es gegeben hat und im Dreißigjährigen Krieg untergegangen ist, hat seinen Namen weitergetragen in der Gemarkung Pohlheim. Ich habe damals diesen Vorschlag gemacht. Wir konnten doch, wenn wir historisch bleiben wollen, den Namen Pohlheim wählen. Der fand bei allen Anklang und lässt sich gut aussprechen. Ich konnte mit meinem Vorschlag sofort bei allen Zustimmung finden.
Also sind Sie praktisch der Vater des Namens Pohlheim?
Ja, ich bin der Vater des Namens Pohlheim. So ist es!
Warum hat es damals denn keine Bürgerabstimmung über die Fusion gegeben?
Es hat eigentlich in der Bürgerschaft jeder gewusst, dass diese Gebietsreform notwendig ist und dass diese kleinen Gemeinden keine Lebensfähigkeit mehr haben. Und deshalb gab es keinerlei Initiativen, die für irgendwelche Besonderheiten gestritten haben, sondern es hat jeder die Notwendigkeit gesehen, dass etwas getan werden musste.
Was hat letztlich dazu geführt, dass sich Holzheim noch den anderen fünf Orten angeschlossen hat?
Die Holzheimer hatten mehr Beziehungen zu Watzenborn-Steinberg als zu Gambach, das mehr zur Wetterau hin orientiert war. Holzheim hatte einen sehr tüchtigen Bürgermeister, der einiges geleistet hat. Ich nenne nur ein Beispiel: Der Holzheimer Bürgermeister hat eine Rufanlage in einer Zeit eingeführt, als bei uns noch der Ortsdiener mit der Schelle durchs Dorf ging und die Nachrichten verkündete. Das waren so kleine Dinge, die der Bürgermeister sich auf seine Fahne schreiben konnte. Dieser Bürgermeister, Walter Georg Buß, war ein Watzenborn-Steinberger und war dann Bürgermeister in Holzheim geworden. Da hat man natürlich eine ganz starke Bindung. Buß war nie ein Freund für einen Gemeindeanschluss nach Gambach. Das war vielleicht eine ganz wichtige Grundlage für den Zusammenschluss.
Hat man die Gemeinden auch ein bisschen damit geködert: „Wenn ihr euch uns anschließt, dann habt ihr die Option oder Vision, dass bei euch ganz viele infrastrukturelle Projekte verwirklicht werden können“?
Watzenborn-Steinberg hätte von seiner Größe her gesehen auch selbstständig bleiben können. Wir hatten eine leistungsfähige Verwaltung, aber es gab keine Chance, Stadtrechte zu erwerben. Die Watzenborn-Steinberger waren sich sicher: Wenn wir uns zusammenschließen und eine gewisse Größenordnung als Gesamtgemeinde haben, haben wir auch den Anspruch, Stadtrechte zu erwerben, was ja auch später geschehen ist.
Im Rückblick: Sind die Stadtteile wirklich im Laufe der 50 Jahre zusammengewachsen? Hat Pohlheim eine eigene Identität?
Ich habe den Eindruck: Wir sind in Pohlheim sehr, sehr gut zusammengekommen. Wir fühlen uns als Pohlheimer. Ich denke selbst nicht daran, zu sagen: Ich bin Watzenborn-Steinberger. Ich bin Pohlheimer. Das ist inzwischen zum Sprachgebrauch geworden. Jeder fühlt sich in Pohlheim als Pohlheimer, den Eindruck habe ich gewonnen. Das kommt daher: Wir haben von Anfang an keinen Zusammenschluss gehabt, der unter irgendwelchen Vorbehalten stand. Das war hier ein freiwilliger, friedlicher Zusammenschluss der sechs Gemeinden.